Karin und Hans hatten ein Leben lang auf diese Reise gespart, ja, sogar seit 15 Jahren jeden übriggebliebenen Cent von Hans‘ Rente.
Dann, zu Hans achtzigstem Geburtstag, brachen Sie in das Reich der Mitte zu ihrer Chinareise auf.
Sie besichtigten die drei weißen Pagoden in Dali, die Reisterrassen von Longsheng, das Naturschutzgebiet Jiuzhaigou, die Kolonialbauten in Shanghai, das Shaolin-Kloster, die Terrakotta-Armee und unternahmen eine dreitägige Kreuzfahrt auf dem Yangtze.
Zuletzt besuchten Sie Peking und erlebten am Ende eines Ausfluges zur Großen Mauer einen beeindruckenden Sonnuntergang.
Während ihrer letzten Nacht im Hotel wachte Hans durch einen Harndrang auf und verschwand im Bad.
Irgendwann im weiteren Verlauf dieser Nacht wurde Karin durch ein schlurfendes Geräusch und leises Stöhnen wach.
Sie sah Hans in merkwürdig gekrümmter Haltung über den Teppichboden krabbeln.
Sie stand auf, setzte sich neben Hans auf den Boden, nahm ihn in den Arm, fragte, was er habe, strich im sanft über den Kopf und noch bevor Hans etwas sagen konnte, was ihm nicht gelingen wollte, brach er in sich zusammen und hauchte seinen letzten Aus-Atem.
Heute, an diesem wunderschönen Herbsttag, ist seine Urnenbestattung auf dem Karlsruher Friedhof; der Pfarrer setzt sich zu ihr auf die Picknickdecke und nimmt nickend und dankbar lächelnd ein Stück Streuselkuchen und einen heißen Becher Kaffee aus der Thermoskanne entgegen.
Gemeinsam blinzeln sie in die nachmittägliche Herbstsonnne, lassen ihren Blick einem langsam herabtrudelnden, grün-gelb-roten Ahornblatt und ihre hoffnungsvollen Gedanken an ein Leben nach dem Tod folgen.
Oh Mann wie bitter-süss. Schön, dass er die ersehnte Reise wenigstens zu seiner letzten Reise machen konnte. Aber irgendwie auch sooo traurig.
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Danke.
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Wow! Bin beeindruckt.
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Vielen Dank!
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Melancholisch. Trotzdem, denke ich, wie gut, dass sie gefahren sind …
Liebe Grüße
Christiane
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Er stirbt ja nicht wegen der Reise. Irgendwann ist halt Schluss.
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Eben, deswegen ja. Hätte immer passieren können. Und sie wird sich irgendwann auch an das Schöne der Reise erinnern.
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Ja. Sie hätten auch zu lange sparen können. Aber hey, vielleicht wäre der überlebende Teil dann von der Lebensversicherungssumme nach China gefahren? Klingt gut, oder? (Ich meinerseits habe es dagegen noch nicht mal nach Skandinavien geschafft, die Gutscheine und das Geld dafür liegen noch unangetastet im Regal und am Konto. Aber vielleicht, irgendwann, wenn ich „groß“ bin …)
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Es wäre wohl besser, seine Träume jetzt zu leben. Morgen könnte es bereits zu spät sein.
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Ja, aber manchmal reicht eben das Geld nicht, um etwas sofort zu realisieren. Und ich finde, schöne Träume zu haben ist auch viel wert.
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Um seine Träume leben zu können, müssen die Ressourcen vorhanden sein. Wenn die Ressourcen da sind, würde ich es aber unverzüglich realisieren. Ein Traum gebiert viele Glücksmomente: die Idee, die Planung, die Vorfreude, die Realisierung, das Erinnern.
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Es ist immer gut, Träume dann zu leben, wenn sie möglich sind.
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